Ellguth-Steinau

Weitere Namen
Ligota Scinawska (heute)
Art der Stätte
Mittleren-Hachschara (Mi-Ha), Reguläre Hachschara
Gegründet
1937
Eröffnung
19.12.1937
Schließung
06.1941
Betriebsfläche
100 Hektar
Ausbildungsfelder
Gartenbau, Hauswirtschaft, Holzbearbeitung, Landwirtschaft, Tierwirtschaft
Gärtnerei (Obst, Gemüse, Spargel); Viehzucht (Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Tauben, Pferde); Geflügelzucht; Hauswirtschaft; Konservenproduktion; Milchverarbeitung; Ackerbau (Getreide, Kartoffeln, Rüben) Tischlerei
Beschreibung
Seit September 1937 wurde, auf Initiative der Reichsvertretung der Juden in Deutschland und des Hechaluz, mit dem Aufbau der Mittleren-Hachschara in Ellguth-Steinau begonnen. Das Gut gehörte der Fabrikantenfamilie Fränkel aus Neustadt O.S. Hermann Meier-Cronemeyer bezeichnet den Ort in seiner Habilitationsschrift als „Renommiergut der Reichsvereinigung [sic.]“. Entsprechend heißt es im Arbeitsbericht des „Zentralausschuss der Deutschen Juden für Hilfe und Aufbau“ von 1937: „In Ellguth haben wir zum ersten Mal einen grossen Betrieb übernommen, der durch den Stand seiner Kulturen, die reiche Ausstattung mit lebendem und totem Inventar, die gute Beschaffenheit der Gebäude Investitionen nur in geringerem Umfang notwendig macht und vor allem die Gewähr bietet, das das landwirtschaftliche Betriebsergebnis so günstig ist, dass vielleicht nach einiger Zeit, die Pflegesätze unter den jetzt geltenden Satz von RM 45.- gesenkt werden können.“

Erster Leiter war seit November 1937 der ehemalige Breslauer Lehrer und Habonim-Führer Edgar Freund. Vor seiner Zeit in Ellguth hatte er in Berlin, wie auch seine Frau Elly, die zusammen mit ihm nach Ellguth kam, in der Führung der „Jüdischen Jugendhilfe“ gearbeitet. Aus diesem exklusiven Führungsduo wurde ein Quartett, als gegen Ende 1937 Georg Josephthal und seine Partnerin Senta in Ellguth eintrafen. Beide stammten aus Franken und hatten vor ihrer Hachschara ebenfalls zum Führungszirkel der zionistischen Jugend gehört. Georg als Generalsekretär des Hechaluz und im Merkas des Habonim, Senta in der „Jüdischen Jugendhilfe“. Beide waren zudem an der Konzeption und praktischen Umsetzung der „Mi-Ha“ wesentlich beteiligt. Während Georg Josephthal in Ellguth für die Landwirtschaft verantwortlich war, kümmerte sich Senta um die Kühe. Edgar Freund war für den Garten zuständig und Elly für die Hauswirtschaft. Einige der Chaluzim in Ellguth kannten die prominente Hachschara-Leitung schon aus ihrer Zeit in der Jung-Führerschaft des Berliner „Habonim“. Unterrichtet wurde Landwirtschaft, Palästinakunde und Hebräisch (täglich 20 Minuten.) Daneben gab es Kurse in Naturwissenschaften, Physik, Chemie und Biologie. Neben den Chaluzim und Chaluzoth gab es auch nicht-jüdische Angestellte. 1938 waren das: ein Inspektor (Bless), ein Hilfsinspektor, ein Schweizerehepaar, drei Kutscher (mit Frauen), ein Gärtner, zwei Bürokräfte, eine Küchenleiterin, ein Landwirtschafts-Lehrer und drei Frei-Arbeiter:innen.

Im Sommer 1938 kam eine erste Gruppe Älterer aus Ellguth zur Alija. Georg und Senta Josephthal verließen im August 1938, nach einer Warnung vor Gestapo-Untersuchungen, Ellguth, das Ehepaar Freund folgte ihnen im September. Josephthals und Freunds gelang die Alija nach Palästina. Ihr Nachfolger in der Hachschara wurde Fritz Wolff. Im April 1938 sollen 55, im Mai 1939 90 Chaluzim und Chaluzoth in Ellguth gelebt haben. Über die Ereignisse vor und im Novemberpogrom 1938 verfasste der Chaluz Benno Teichmann einen Bericht. Zunächst wurden am 28. Oktober 1938 alle Chaluzim und Chaluzot mit polnischen Pässen vom Gut gebracht und nach Polen deportiert. Ein Teil davon konnte nach kurzer Zeit zurückkommen. Am 10. November kamen zwei Jugendliche aus Breslau auf einem Motorrad aufs Gut, um über die Ereignisse in ihrer Stadt zu berichten. Nachmittags folgte ein Gendarm, der jedoch erst einmal nur nach Waffen suchte. In der Nacht kam dann ein Mob aus Bauern und SA, die ins Haus eindrangen, die Chaluzim verprügelten und bedrohten. Alle noch auf dem Gelände befindlichen Personen mussten ihre Sachen packen und wurden noch in der gleichen Nacht mit einem LKW ins Polizeipräsidium Oppeln gebracht. Die jungen Frauen wurden später dort entlassen, während die jungen Männer ins KZ Buchenwald transportiert wurden. Nach einigen Wochen wurden alle Ellguther Chaluzim (soweit bekannt) entlassen. Sie verließen entweder sofort das Land oder mussten in Ellguth darauf warten, bis ihnen Plätze in Hachscharot in den Niederlanden (meist in Werkdorp) angeboten wurden. Ehemalige Ellguther wurden in den 1940er-Jahren in den Niederlanden in der Widerstandgruppe um Joop Westerweel aktiv, andere gehörten 1945 zu den Gründern des Kibbuz Gal Ed in Palästina/Israel. Über die Geschichte Ellguths von Mitte 1939 bis 1941 bzw. als Ort für jüdische Zwangsarbeit gibt es bisher keine verlässlichen Beschreibungen.
Einfahrt nach Ellguth (1937/38)
© Privatarchiv/Archiv der Jüdischen Jugendbewegung-TU Braunschweig
Edgar Freund im Garten, Ellguth (1937/38)
© Privatarchiv/Archiv der Jüdischen Jugendbewegung-TU Braunschweig
Edgar und Elly Freund (v.r.) (Mitte der 1930er Jahre)
© Privatarchiv/Archiv der Jüdischen Jugendbewegung-TU Braunschweig
Zugehörige Organisationen
Zugehörige Personen
Eger, Irene (Trägerschaft)
Gerson, Martin (Trägerschaft)
Guttmann, Salo (Trägerschaft)
Pinkus, Hans (Trägerschaft)
Juliusburger, Egon (Trägerschaft)
Kochmann, Arthur (Trägerschaft)
Singer, Robert (Trägerschaft)
Wolff, Adolf (Trägerschaft)
Quellen und Hinweise
Edgar Freund (1989). Chapters from his life (Privatdruck Israel)

Benno Teichmann: Hachscharakibbuz Ellguth Ende 1938, in: Yad Vashem Archives

Arbeitsbericht des Zentralausschuss Deutscher Juden für Hilfe und Aufbau, 1937, S. 83.

Mittleren Hachschara, Hrsg: Kurt Herzberg/ Hechaluz. Deutscher Landesverband [1937]

Gespräch KB mit Elly Freund, Bat Yam 2011

GFH Archiv, JHI Warschau, LBI-NY
Literatur
Knut Bergbauer: Pioniere in der Provinz. Hachschara, Alija und jüdische Jugendbewegung in Schlesien, in: Ulrike Pilarczyk; Arne Homann; Ofer Ashkenazi  (Hrsg.), Hachschara und Jugend-Alija. Wege jüdischer Jugend nach Palästina 1918-1941, Steinhorster Beiträge zur Geschichte von Schule, Kindheit und Jugend. Gifhorn: Gemeinnützige Bildungs- und Kultur GmbH des Landkreises Gifhorn 2020. S. 107–133.

Hubertus Fischer: Das Lehrgut Ellguth bei Steinau (1937–1941) und die Hachschara in Oberschlesien, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 64 (1) (2018). S. 61–110. online: <https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/jgod-2018-0002/html>.

Edgar Freund: Chapters from his life. Israel 1989.

Hermann Meier-Cronemeyer: Zwischen Nationalismus und Sozialismus. Die jüdische Jugendbewegung in Deutschland.. Erlangen-Nürnberg 1977.

Eliyahu Kutti Salinger: "Nächstes Jahr im Kibbuz". Die chaluzische Jugendbewegung in Deutschland zwischen 1933 und 1943, Paderborner Beiträge zur politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Weiterbildung : Neue Reihe. Paderborn: KoWAG Universität Paderborn 1998.

Andrea von Treuenfeld: Dr. Elly Freund, in: In Israel eine Jüdin, eine Jeckete in Israel. Geflohene Frauen erzählen ihr Leben. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. S. 24–43.

Empfohlene Zitation

Knut Bergbauer, Ellguth-Steinau, in: Hachschara als Erinnerungsort, 12.12.2022. <https://hachschara.juedische-geschichte-online.net/ort/12> [06.12.2024].

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Adresse

Ligota Ścinawska
48-325 Przydroże Małe

Historische Verwaltungseinheit

Provinz Oberschlesien

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