Hachschara.
Begriff und kurze Geschichte

„Hachschara“ bezeichnet die gemeinschaftlich organisierte landwirtschaftliche, gärtnerische, handwerkliche oder hauswirtschaftliche Berufsausbildung junger Jüdinnen und Juden mit dem Ziel der Einwanderung ins Britische Mandatsgebiet Palästina/Eretz Israel. Der Begriff selbst stammt aus dem Hebräischen und wird allgemein mit „Tauglichmachung“ oder „Vorbereitung“ übersetzt.

Weil Hachschara oft nur aus einer lokalen Perspektive wahrgenommen und beschrieben wird, bleibt ihr größerer Zusammenhang meist unbeachtet. Dieser übergreifende Kontext war ein zionistisches Projekt namens „Chaluziut“ (Pioniertum). Dabei standen Hachschara-Ausbildungen lediglich am Anfang des Weges. Nach Abschluss der Ausbildung sollte die Alija (Einwanderung; Aufstieg) nach Palästina/Eretz Israel folgen, am Ende stand die Eingliederung und das Leben in einer Kibbuz-Gemeinschaft.

Hachschara-Ausbildungen waren ab Ende des 19. Jahrhunderts Ideen und Praktiken einer „Berufsumschichtung“ vorausgegangen, die innerhalb der jüdischen Gemeinschaften zunächst diskutiert und dann organisiert wurden. Eine Hinwendung zu „praktischen“ Berufen, die für Jüdinnen und Juden lange Zeit verschlossen gewesen waren, sollte die Berufsstruktur innerhalb der jüdischen Bevölkerung verändern und gleichzeitig auch antisemitischen Vorurteilen begegnen. Erst der in den 1890er-Jahren aufkommende Zionismus verband diese „Berufsumschichtung“ mit dem Projekt der „Rückkehr“ von Jüdinnen und Juden nach Erez Israel. Zur Hachschara gehörte deshalb neben der praktischen Berufs-Ausbildung immer die Beschäftigung mit jüdischer Kultur und Geschichte (Tarbut) – als „theoretischer“ Teil, genauso wie das Erlernen der hebräischen Sprache. Auch wenn viele Chaluzim (Pioniere) der ersten Jahre praktisch gezwungen waren, zunächst allein zu arbeiten, gehörte – im Gegensatz zur Berufsumschichtung – Gemeinschaftserziehung ebenfalls zu den Pfeilern der Hachschara: das Einüben in kollektive Formen des Arbeitens, Lernens und Lebens, wie sie für den Kibbuz notwendig waren. Da das Leben im Kibbuz von zionistisch-sozialistischer Lebensweise geprägt sein sollte, spielten diese Ideen für die Erziehung auf Hachschara und ebenso in den jüdischen Jugendbünden eine bedeutende Rolle.

Erste Gruppen des Hechaluz, der Dachorganisation der jüdischen „chaluzischen Jugend“ und Organisator der Hachschara, entstanden zuerst vor allem in Osteuropa, wo die Not der jüdischen Jugend und die Bedrohung durch den Antisemitismus früher und stärker als in Deutschland spürbar waren. Als Katalysator der Pionier-Bewegung wirkte sowohl in Osteuropa als auch in Deutschland die jüdische Jugendbewegung. Erste jüdische Jugendbünde begannen kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges aktiv zu werden. Diesen entstammte auch ein großer Teil der Aktivist:innen des nach Ende dieses Weltkriegs entstandenen Hechaluz. Mit der Möglichkeit von Palästina als „jüdischer Heimstätte“, die vor allem die Balfour-Deklaration (1917) vermittelte, begannen Hachschara, Alija und Leben im Kibbuz immer mehr Kontur anzunehmen.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden auch in Deutschland erstmals Hachschara-Ausbildungen angeboten, ein deutscher Landesverband des Hechaluz wurde Ende 1922 gegründet. In den Jahren der Weimarer Republik umfasste er jedoch selten mehr als 600 Mitglieder. Seit 1928 existierte mit dem „Bachad“ (Brit Chaluzim Datiim) auch ein Dachverband religiöser Palästina-Pioniere.

Ab Mitte/Ende der 1920er-Jahre begannen sich auch Nicht-Zionist:innen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands zunehmend für diese neuen Formen von Berufsperspektiven zu interessieren, auch wenn deren Ziel nicht ein Kibbuz in Palästina war. Das prominenteste Projekt war die „Jüdische Siedlung Groß Gaglow“ bei Cottbus. Hier sollte nicht auf Auswanderung oder Alija vorbereitet werden, sondern eine jüdische Siedlung innerhalb Deutschlands entstehen.

Einige der landwirtschaftlichen, gärtnerischen und hauswirtschaftlichen Hachschara-Ausbildungen fanden auf sogenannten Lehrgütern statt. Dies war von Anfang an die von den chaluzischen Organisationen präferierte (oft auch idealisierte) Form. Allerdings waren Lehrgüter vor 1933 eher die Ausnahme, da die Chaluz-Organisationen meist darauf angewiesen waren, die Plätze anzunehmen, die angeboten wurden.

Neben der dominierenden landwirtschaftlichen Hachschara entstanden seit Mitte der 1920er-Jahre zunehmend auch handwerkliche und hauswirtschaftliche Ausbildungen, von denen die Mehrzahl in Städten absolviert wurde. Deren Praxis ist in den Forschungen zur Hachschara vor allem wegen der unzureichenden Quellenlage bisher unterrepräsentiert. Dabei sollten städtische Hachscharot von allgemeinen Berufsausbildungen, wie sie z.B. von jüdischen Wohlfahrtsorganisationen und Synagogengemeinschaften angeboten wurden, unterschieden werden. Ein wichtiges Merkmal dieser städtischen Hachscharot wären u.a. die Batei-Chaluz (Pionier-Häuser), in denen man nicht nur gemeinsam wohnte, sondern sich auch zur Tarbut-Arbeit und zum Hebräisch-Lernen zusammenfand.

Ein kleiner Teil der Chaluzim absolvierte auch spezielle Ausbildungen außerhalb des beschriebenen Spektrums, beispielsweise die sogenannte Seefahrts-Hachschara.

Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 änderte sich nicht nur die Lebensrealität der Juden in Deutschland gravierend, sondern auch die spezifische Situation der Palästina-Pionier:innen. Als Reaktion auf die zunehmende Entrechtung durch die nationalsozialistische Diktatur drängten immer mehr junge Jüdinnen und Juden in die chaluzischen Organisationen. Der deutsche Landesverband des Hechaluz erreichte bereits 1933/34 mit ca. 14.000 Mitgliedern einen Höchststand. Da eine Hachschara-Ausbildung Voraussetzungen für den Erhalt der von der britischen Mandatsmacht streng limitierten Arbeiter-Einreise-Zertifikate schaffen konnte, wurde die Hachschara von einer Institution der jüdischen Selbsthilfe und zionistischen Erziehung zu einem umfassenden Ausbildungs-, Erziehungs- und Auswanderungssystem weiterentwickelt. Hachschara-Güter und Zentren in Deutschland wurden nun zur Regel, auch weil es immer weniger Ausbildungsmöglichkeiten bei nicht-jüdischen Landwirten gab.

Seit 1932/33 wurde neben der regulären Hachschara auch das Projekt der „Jugend-Alija“ entwickelt, das sich an jüdische Jugendliche unter 18 Jahren richtete. Diese Jugendlichen sollten in Deutschland lediglich eine kurze Vorbereitungszeit absolvieren, daran schloss eine umfassende zweijährige Ausbildung – inklusive Hebräisch- und Tarbut-Unterricht – in Palästina an. Die Jugend-Alija Gruppen, die ab Frühjahr 1934 nach Palästina gelangten, wurden meist in Kibbuzim (aber auch in sogenannte Kinder- und Jugenddörfer wie Ben Schemen) aufgeteilt. Nachdem es ab 1935 für die meisten jüdischen Jugendlichen in Deutschland weitgehend unmöglich wurde, eine höhere Schule zu besuchen, schufen die zionistischen Organisationen mit der sogenannten Mittleren-Hachschara (MiHa) eine dritte Institution, die von den Bedingungen und der Ausbildungszeit her zwischen klassischer Hachschara und Jugend-Alija angesiedelt war. Hier konnten Jugendliche unter 18 Jahren eine Berufsausbildung in Deutschland erhalten, die auch eine umfassende schulische Bildung umfassen sollte.

Nach 1933 wurden Hachschara-Ausbildungen im europäischen Ausland zunehmend bedeutsamer, auch weil das Angebot von Hachschara-Stellen in Deutschland die Nachfrage nicht mehr befriedigen konnte. Hechaluz und Bachad hatten solche Ausbildungen vereinzelt bereits ab Mitte der 1920er-Jahre angeboten. In den 1930er-Jahren absolvierte bereits ein Drittel der deutschen Chaluzim eine Ausbildung außerhalb Deutschlands, meist in den Niederlanden, Dänemark oder Schweden. Im Gegensatz zu Deutschland erfolgten diese Ausbildungen vorwiegend als Einzel-Hachschara bei nicht-jüdischen Landwirten. Um dennoch einen kollektiven Austausch und gemeinsames Lernen zu ermöglichen, organisierten Hechaluz und Bachad wöchentliche Gruppentreffen, die auch für Tarbut-Arbeit und den Hebräisch-Unterricht genutzt wurden. Einige dieser Gruppen verstanden sich daher bereits als „Kibbuzim“, gebräuchlich war der Begriff „Hachschara-Kibbuz“.

In und nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurden zahlreiche Hachscharot in Deutschland von Nationalsozialisten überfallen, Chaluzim misshandelt und ältere Jugendliche in Konzentrationslager verbracht. Ein großer Teil konnte zwar nach kurzer Zeit wieder freikommen – allerdings mit der Auflage, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Zwischen November 1938 und Sommer 1939 stellten die meisten zionistischen Jugendbünde in Deutschland weitgehend ihre Arbeit ein und verlagerten viele ihrer Aktivitäten ins Ausland. Ein Teil der Verantwortlichen von Hechaluz und Bachad blieb jedoch weiter in der Abteilung Berufsvorbereitung des Palästina-Amtes in der Berliner Meineckestraße oder in der Jüdischen Jugendhilfe in der Kantstrasse aktiv. In den Jahren von 1939 bis 1941 konnten zwar einige der Hachscharot in Deutschland aufrechterhalten werden, allerdings befanden sie sich zunehmend in Isolation und unter stetig wachsender Kontrolle der Gestapo.

Zwischen Sommer 1940 und Herbst 1941 wurden Hachschara-Orte schrittweise in Lager der Zwangsarbeit umgewandelt. Spätestens mit dem Ausreiseverbot für Jüdinnen und Juden aus Deutschland im Oktober 1941 musste auch die Idee von „Vorbereitung“ und „Tauglichmachung“ für die Alija endgültig aufgegeben werden. Allerdings gab es in den ehemaligen Hachscharot noch immer Gruppen und Einzelne, die trotz widriger Umstände ihr Selbstverständnis als Chaluzim aufrechterhielten.

Die letzten, in Zwangsarbeitslager umgewandelten Hachschara-Stätten wurden im Frühjahr 1943 aufgelöst und die dort verbliebenen Chaluzim in Vernichtungslager deportiert. Damit endete die Geschichte der Hachschara in Deutschland zunächst. Nach der Okkupation von Polen, der CSR, Frankreich, den Beneluxstaaten und einigen skandinavischen Ländern durch Nazi-Deutschland waren nun auch die jungen Chaluzim und Chaluzot, die sich dort auf Auslands-Hachschara befanden, lebensbedrohlich gefährdet. Aus einigen chaluzischen Zusammenhängen entstanden Widerstandsgruppen, die z.B. illegale Fluchtrouten organisierten.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab es vor allem im Umfeld der Displaced-Persons-Lager für wenige Jahre wieder Hachschara-Ausbildungen in Deutschland. Dort bereiteten sich vor allem osteuropäische Jüdinnen und Juden, die die Vernichtungslager überlebt hatten, auf ein Leben in Palästina (und ab 1948 in Israel) vor. Zugleich gab es mit dem Gehringshof, auch Kibbuz Buchenwald genannt, einen Ort, der auch von Überlebenden aus den ehemaligen Hachscharot Ahrensdorf und Neuendorf geprägt wurde. Auf dem Gehringshof hatte schon in den 1920er-Jahren eine religiöse Hachschara existiert.

Einschlägige Forschungen zum Thema gibt es erst seit den 1980er-Jahren. Pionierarbeit leisteten dabei eine ehemalige Chaluza: Ilana Michaeli (Gut Winkel), sowie der ehemalige Praktikant Werner Tom Angress (Groß-Breesen) mit der Veröffentlichung ihrer Erinnerungen. Zeitgleich begannen auch regionalhistorisch Interessierte in Deutschland – wie Herbert und Ruth Fiedler (Landwerk Ahrensdorf) oder Sieghard Bußenius (Brüderhof) – die Geschichte lokaler Hachscharot zu untersuchen. Inzwischen gibt es eine Vielzahl kleinerer und größerer Darstellungen zur Hachschara, die wichtige Einblicke ermöglichen, allerdings existiert keine umfassende Darstellung zum Thema. Übergreifenden Untersuchungen zur Hachschara sind daher nach wie vor ein Forschungsdesiderat. Mehr zur Literatur »